Die Bauern und die Seenkette

War das Bauerntum in den Dörfern Fresdorf, Kähnsdorf und Wildenbruch prägend stand Seddin auf „zwei Beinen“: dem Bauerntum und der Fischerei. Mit der Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR am Anfang der fünfziger Jahre im letzten Jahrhundert, die um 1960 zwanghaft abgeschlossen wurde, begann das Bauerntum und die mit ihnen verbundenen Traditionen zu zerfallen. Nach der Wende war ein Wiedererstehen des ehemaligen Bauerntums nicht mehr möglich bis auf wenige Traditionen, die wiederbelebt wurden.

Es wurde schon im Gliederungspunkt „Die Dörfer und der See“ ausgeführt, dass die Bauern in den Dörfern an der Seddiner Seenkette gezielt angesiedelt wurden und warum. Dies geschah um 1300 im Zuge der deutschen Ostsiedlung.1 Dabei erhielten die Fresdorfer Bauern 20 Hufen2 mehr zugeteilt als die Bauern in den anderen Dörfern. Der Grund ist leicht erklärbar. Ab Ausgang der Landenge zwischen dem Großem Seddiner See und dem Kähnsdorfer See führte die Handels-, Heer- und spätere Poststraße mitten durch die Felder der Fresdorfer Bauern.3

Auf der Orientierungshilfe sind mit Großbuchstaben die Lage der Feldflächen mit ihren Ortszugehörigkeiten eingezeichnet. Diese Feldflächen waren mit einem zum Großen Seddiner See gerichteten Grabensystem durchzogen. Dieses Grabensystem endete bei den Wildenbrucher Feldflächen an den Feuchtwiesen. Bei den Fesdorfer- und Kähnsdorfer Feldflächen an einer Uferböschung, die die Felder von der Seekante trennte. Bei den Wildenbrucher Flächen gab es noch eine Besonderheit. Der Stadtweg, beginnend am Mühlberg in Wildenbruch und Richtung Westen verlaufend, heute der Mittelweg, der die nördliche und südliche 18 Lochanlage des Golf- und Country Clubs trennt, trennte auch seinerzeit die Wildenbrucher Felder in zwei Bereiche. Die Gräben der nördlichen Felder hatten ein unterirdisches Rohrsystem Richtung See zu den Feuchtwiesen. Als Junge war ich über viele Jahre fest davon überzeugt, dass zwischen dem Rötberg und der Bergheider Badestelle sich eine Quelle befand. Nein, hier endete ein Abflussrohr von den „nördlichen Feldern“.

Skizze zu den Grabensystemen

Dieses Grabensystem, von den Bauern angelegt, leitetete das Winterschmelzwasser aber auch Regenwasser von den Feldern Richtung Großen Seddiner See.

„Im Jahr 1951 bestand die Landwirtschaft in Wildenbruch aus 65 Einzelbauern, die jeweils eine Fläche von 0,5 ha (Kleinsterzeuger) bis 35 ha bewirtschafteten. Diese Höfe verteilten sich in den einzelnen Betriebsgrößen wie folgt: bis

                                     5 ha                                35 Besitzer

                                     5   bis 10 ha                   15 Besitzer

                                     10 bis 35 ha                   21 Besitzer

Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass es in Wildenbruch neben den Kleinsterzeugern nur Klein- und Mittelbauern gab“.4 Keine Großbauern. Mein Opa gehörte zu den Kleinstbauern. Auch in den anderen Dörfern gab es keine Großbauern. Die bäuerliche Grundstruktur war wie in Wildenbruch.

                   

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Symbolbild 2
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Landwirtschaftliche Geräte wie sie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts von den Bauern benutzt wurden: Symbolbild 1 Jauchedrill, Symbolbild 2 Gabelheuwender für Pferdezug, Symbolbild 3 Flachmähbinder. Nur die Mittelbauern hatten Pferde zum Ziehen dieser landwirtschaftlichen Geräte. Neben Pferden gehörten zum Viehbestand der Mittelbauern stets Kühe, Schweine, Hühner. Mein Opa als Kleinstbauer hatte nur ein Schwein, zwei Ziegen und Hühner. Das Zugtier war ein Hund. Mit dem Hundegespann wurde zum Beispiel Heu und Stroh transportiert. Einige landwirtschaftliche Geräte, die teuer waren und nur einmal im Jahr genutzt wurden, wurden gemeinschaftlich angeschafft. Dazu gehörte auch eine Dreschmaschine. Mein Opa musste sich jedes Jahr einen Dreschtermin geben lassen.

Arbeitsweise einer Dreschmaschine5

Die Mittelbauern in den Dörfern waren Selbstversorger. Alles, was sie zum täglichen Leben benötigten, erzeugten sie selbst. Gegenüber dem Staat hatten Sie Abgaben zu leisten, die der Staat festlegte. Die Bauern waren bis 1960 auch (fast) Ökobauern. Nur den Mist und die Gülle aus ihren eigenen landwirtschaftlichen Betrieben wurde auf den Feldern zur Düngung eingesetzt. Zusätzlicher Dünger fast gar nicht. Darüber hinaus waren die Bauern aus meinem heutigem Blickwinkel Natur Ranger. Dazu mehr bei Feuchtwiesen, Flora und Fauna. Rückblickend war das Verhältnis der Bauern zum Großer Seddiner See bis um 1960 für mich eine Symbiose.6 Für die Symbiose hier ein erstes Beispiel: Das Grabensystem entwässerte die Ackerflächen. Die Seen freuten sich über das Wasser.

Anfang der fünfziger Jahre wurde in allen Dörfern Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) gegründet. Vor allem die Kleinst- und Kleinbauern traten in die LPG`n ein. Die Mittelbauern wehrten sich vehement gegen die Kollektivierung. 1957 gab es in Wildenbruch noch acht bäuerliche Einzelwirtschaften, die jeweils Höfe zwischen 10 und 35 ha bewirtschafteten. Als der politische Druck immer größer wurde und die Zwangskollektivierung drohte, verließen einige Mittelbauern mit ihren Familien zwischen 1957 und 1960 die Dörfer an der Seenkette in Richtung Bundesrepublik.7 Um 1960 war die Kollektivierung abgeschlossen. Formal blieben die Bauern Eigentümer der Ländereien. Sie waren jetzt Mitglieder von verschiedenen LPG`n. In Wildenbruch wurde neben der LPG auch noch eine Maschinen- Traktoren-Station eingerichtet.

                              

Symbolbild 55  
Symbolbild 65

Die beiden Abbildungen zeigen die Traktoren Radschlepper RS 04/30 und Radschlepper RS 14/30 „Favorit“ aus dem damaligen Maschinenpark einer MTS.

Die bestehenden Feldstrukturen waren für die Traktoren und die anderen landwirtschaftlichen Geräte der MTS zu klein. Sie konnten nicht wirtschaftlich eingesetzt werden. Es wurden größere Feldstrukturen geschaffen. Mit der landwirtschaftlichen Produktion auf Basis der Großraumwirtschaft in den LPG`n wurde auch die Symbiose Mensch „Seddiner Seenkette“ aufgekündigt. Das Grabensystem um den Großen Seddiner See wurde abgeschafft. Die Folge war, dass das Regen- und Schneeschmelzwasser nicht mehr abfließen konnte. Auf den Großfeldern bildeten sich eigene Seen. Das Wasser stand in manchen Jahren bis in den Mai hinein. Erst ab Juni konnte mit den Feldarbeiten begonnen werden als die landwirtschaftlichen Geräte nicht mehr einsanken. Es wurde beschlossen, wieder Wassersammelgräben anzulegen. In den Maßen waren sie etwa zwei Meter breit und 1,50 m tief und unterschiedlich lang. Diese Gräben führten nicht mehr zum Großen Seddiner See.

Die Lageskizze zeigt die heute noch nachweisbaren vier stark zugewachsenen Gräben.

Foto Siegfried Paul
Einer der ehemaligen Gräben im Jahr 2020

Beim Zaun rechts auf dem Foto beginnt der Golfplatz auf der Wildenbrucher Seite. Das ist für mich der erste Nachweis für das ab 1960 immer mehr abhanden kommene Geben und Nehmen zwischen den Menschen und der Seddiner Seenkette. Hier beginnt für mich der Leidensweg der Seen.

Ab Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts begann das Düngen der Großfelder von Agrarflugzeugen aus. Dies geschah auch rund um die Seddiner Seenplatte. Mist und Gülle war durch die Abschaffung des Bauerntums nicht mehr ausreichend vorhanden. Die ehemaligen Bauern waren jetzt Angestellte einer LPG oder MTS.   

Damaliges Landwirtschaftsflugzeug Z 37

Die Abbildung des Flugzeugs stammt von einer DDR-Briefmarke aus dem Jahr 1972. Die Düngung wurde extensiv gehandhabt. Das Wort Überdüngung war wohl unbekannt. Mit den Agrarflugzeugen wurde auch der Borkenkäfer in den umliegenden Kieferwäldern bekämpft. Die gleichzeitige Vernichtung der Pilzbrut wurde in Kauf genommen. In den 80iger Jahren gab es kaum noch Pilze. Natürlich gelangte mit Sicherheit viel Chemie als Cocktail in das Grundwasser und damit auch in die Seenkette. Wieviel davon bis heute abgebaut ist, kann ich nicht sagen.

Die LPG`n hatten immer nur ein Ziel: „Steigerung der Produktionsmengen“. Alles Denken und Handeln diente diesem. Dazu gab es mehrere Umstrukturierungen innerhalb der LPG zu der die Dörfer Fresdorf und Wildenbruch gehörten. 1966/67 übernahm die LPG die Technik von der bis dahin eigenständig organisierten MTS. „Vom Jahr 1973 an wurde eine Kooperation der Landwirtschaft mit den Nachbarorten vereinbart. In dieser Phase trennte man Tier- und Pflanzenproduktion komplett und betrieb in Wildenbruch nur noch Tierproduktion. Die Pflanzenproduktion wurde in der LPG Saarmund organisiert mit den Flächen der Orte Tremsdorf, Langerwisch, Fresdorf und Wildenbruch. Während die Tierproduktion in der LPG Fresdorf mit Abteilungen in Langerwisch, Tremsdorf und Wildenbruch zusammengefasst wurde. In Wildenbruch war in den 80iger Jahren nur noch Bullen- und Schweinemast vertreten. 1988 wurde auch die Rindermast endgültig aufgegeben“.8 Wie die Gülle mit Blick auf den Großen Seddiner See entsorgt wurde, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen“.8 Die Bauern der Dörfer Kähnsdorf und Seddin wurden bis 1960 mit Sicherheit ebenfalls Mitglieder einer LPG. Unterlagen dazu habe ich bis jetzt ebenfalls nicht dazu gefunden.

Nach 1990 wurden die LPG`n zerschlagen. Die zwangsenteigneten Bauern erhielten ihre Ländereien zurück. Die Bauern, die die DDR verlassen hatten nicht, da sie durch die Bundesrepublik schon entschädigt wurden. Die ehemalige LPG Saarmund strukturierte sich neu in einer „agro Saarmund eG“. Die „agro Saarmund eG“ gibt es heute noch. Auf ihrer Homepage9 stellt sich dieser landwirtschaftliche Betrieb dar als: „Wir sind ein Mehrfamilienbetrieb südlich von Potsdam. Unsere Leidenschaft gilt dem Pflanzenbau und der Tierhaltung. Gebündelt wird diese Leidenschaft in unserer Landfleischerei. Auf zirka 1.700 Hektar Grünland finden unsere Weiderinder ganzjährig bestes Futter. Viele dieser Weideflächen befinden sich im Naturpark Nuthe-Nieplitz. Durch unsere Beweidung werden die Naturparkflächen offengehalten, so dass diese facettenreiche Naturlandschaft gefördert und erhalten bleibt“. Die Felder an den Seddiner Seen waren im neuen Umfeld nicht mehr konkurrenzfähig und wurden stillgelegt. Dieser Zustand besteht zum großen Teil noch heute. Wenige Felder werden bewirtschaftet.

Foto Siegfried Paul
Stillgelegte Felder am Seddiner See

Der Weg von links nach rechts auf dem Bild ist die ehemalige Poststraße. Im Hintergrund ist eine „Erlenmauer“ zu sehen. Dahinter befindet sich der Große Seddiner See. Kein Mittelbauer hat nach der Wende wieder als selbständiger Bauer gearbeitet. Von den ehemaligen Wildenbrucher Mittelbauern sind als Nachkommen nur Herr Wolter und die Brüder Bellin von mir ausfindig gemacht worden. Herr Wolter betreibt noch etwas Landwirtschft als Hobby. Einer der Brüder Bellin hat nach der Wende Kutschfahrten angeboten. Auch aus den anderen Dörfern hat kein ehemaliger selbständiger Bauer zur Landwirtschaft zurückgefunden. In Seddin gibt es noch zwei ehemalige Bauern, die jetzt noch etwas Landwirtschaft als Hobby betreiben.  

1 Christa und Johannes Jankowiak, Unterwegs an Nuthe und Nieplitz….., S. 121
2 Diente im Mittelalter allgemein als Bezeichnung bäuerlichen Grundbesitzes ohne damit eine bestimmte Flächengröße zu nennen. Eine Preußische Hufe betrug dagegen exakt 30 Morgen oder 76.596,746 qm. 
3 Dr. Georg Klünger, Untersuchung über die Geschichte Wildenbruchs.
4 Aus der Arbeit der Wildenbrucher Gruppe „Chronik“ „Die Entwicklung der Landwirtschaft in Wildenbruch seit 1945.
5 Landwirtschaftliche Geräte wie sie die Bauern in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts benutzten aus: Lehr- und Fachbuch für die Berufsausbildung LANDTECHNIK, Fachkunde für Landwirtschaftliche Berufe, 2 bearbeitete Auflage, 1957, VOLK UND WISSEN VOLKSEIGENER VERLAG BERLIN.
6 Vergesellschaftung von Individuen zweier unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist. Dabei sehe ich den Großen Seddiner See als ein Individuum.
7 Aus der Arbeit der Wildenbrucher Gruppe „Chronik“ „Die Entwicklung der Landwirtschaft in Wildenbruch seit 1946“.
8 Aus der Arbeit der Wildenbrucher Gruppe „Chronik“ „Die Entwicklung der Landwirtschaft in Wildenbruch seit 1946“.
9 www.agro-Saarmund.de

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