Wann ist der Große Seddiner See gefüllt?

Vor allem seit 2018 ist die Seddiner Seenkette und hier vor allem der Große Seddiner See mit steigender Frequenz Thema in den Medien. Hier eine Auswahl der Überschriften: „Ein See wühlt die Menschen auf“, „See trocknet allmählich aus“, „Frisches Wasser für den Seddiner See“, „Ein Fischer verliert seinen See“, „Seespiegelschwankungen am Großen Seddiner See“, „Die Bewässerung der Golfanlage am Großen Seddiner See“, „Hilfe für den Seddiner See – Ludwig will Fördermittel einsetzen“. „Der Seddiner See erholt sich einfach nicht“. All diese Medienbeiträge basieren auf den stetigen Rückgang des Wasservolumens des Großen Seddiner Sees. Für jeden sichtbar in den dramatisch fallenden Seespiegelständen mit den trocken gefallenden Bereichen. Für Hinterfragungen hier der wichtigste Fixpunkt:

Der See wird als mit Wasser bordgefüllt bei einem Pegelstand von 39,2 NN bezeichnet.1 Als Kriterium für „bordgefüllt“ wird der „Wasserüberlauf“ vom Großen Seddiner See in den Kähnsdorfer See genannt. Es beginnt bei diesem Pegelstand Wasser vom Großen Seddiner See in den Kähnsdorfer See zu fließen, was nicht in Frage gestellt wird.

Tabelle zur Seespiegelentwicklung von 1977 bis 20182

Die Tabelle weist aus, dass nach diesen Vorgaben in den letzten dreißig Jahren nur 1993 und im Jahr 2013 der Große Seddiner See letztmalig gefüllt war.

Es gibt eine öffentlich vertretene Theorie, die aus diesen beiden Daten, die zwanzig Jahre auseinander liegen, eine Gesetzmäßigkeit ableitet: der Große Seddiner See ist alle zwanzig Jahre gefüllt. Anders ausgedrückt, wir müssen nur etwas Geduld haben, 2033 ist es wieder soweit. Hier kann ich nur wieder meine Standardantwort zu solcherart Aussagen anwenden: es ist nicht einmal falsch! Wissenschaftlich unhaltbar. So eine Aussage ist vielleicht ableitbar, wenn Daten von über 200 Jahren vorliegen. Die Gefahr einer solchen Aussage besteht aber darin, untätig zu sein und zu bleiben.

Die folgende Tabelle stammt aus einem Monitoring zum Großen Seddiner See vom Jahr 2019.3

Tabelle Seespiegelentwicklung im Jahr 2019

Der niedrigste Pegelstand wurde Ende August 2019 gemessen. Der höchste Pegelstand am 01.04 2019. In diesem Monitoring heißt es wörtlich: „Der See ist zu 100% gefüllt ab einem Wasserstand von 39,23 m ü. NN. Somit lag der Seepegel zum Jahresbeginn 0,96 m unter dem Füllstand“ (……….)“Bei der letzten Jahresmessung am 17.12.2019 lag der Seepegel bei 38,10 m ü. NN, also 17 cm unter dem Startwert des Seepegels am 08.01.2019“. Der Tabelle ist ferner zu entnehmen, dass beim höchsten Pegelstand im Jahr 2019 nach der Vorgabe „See ist gefüllt“ lediglich 80 cm fehlen. Im Monitoring wird zusammenfassend festgestellt: „Die Wasserdifferenz zum bordvollen Wasserstand (39,23 m ü. NN) beträgt am Jahresende 1,13 m“. Es klingt alles nicht so dramatisch. Salopp formuliert: Ein paarmal ordentlich Regen und wir sind wieder im Lot.3 

Hier ein Einschub, um den Pegelstand „m ü. NN“ wie links in der Tabelle 1 und 2 angegeben besser zu verstehen. Es wird dazu noch die Höhenangabe der Gemeinde Seddiner See mit „49 NHN“ und der Ortsteil Wildenbruch der Gemeinde Michendorf mit „43 NHN“ hinzugezogen.

NN-Höhen

Die Bezeichnung Normalnull (NN) wurde 1879 eingeführt. NN-Höhen können sich auf verschiedene Höhenbezugsrahmen beziehen, zwischen denen mit mehreren Zentimetern Differenz gerechnet werden muss.

HN-Höhen in der DDR

Die Höhen in der DDR waren Normalhöhen, bezogen auf den Kronstädter Pegel. Die Höhen des staatlichen Nivellementsnetzes 1956 (SNN56) wurden als HN56, die Höhen des Staatlichen Nivellementsnetzes von 1976 (SNN76) als HN76 bezeichnet. Mitunter wurde aber auch nur die Bezeichnung HN (Höhennull) ohne Spezifizierung der Messepoche verwendet.

Normalhöhennull (NHN)

Normalhöhennull ist die Bezeichnung der Bezugsfläche für die Angabe von Höhen über den Meeresspiegel in Deutschland, deren Niveau vom Amsterdamer Pegel (Normal Amsterdam Peil (NAP)) abgeleitet ist. Höhen über NHN sind Normalhöhen. Nach der Wende erfolgte eine Umstellung. Es änderten sich sowohl die ostdeutschen als auch die westdeutschen Höhen. Der DDR-Standard wurde auf den Amsterdamer Pegel umgestellt, die westdeutschen wurden auf Normalhöhen umgestellt.  Das Deutsche Haupthöhennetz wurde am 21. September 2016 beschlossen und bis zum 30. Juni 2017 eingeführt.  Die Differenz durch die Umstellung von HN-Höhen auf NHN-Höhen in den neuen Bundesländern beträgt im Flachland nur wenige mm. Außerhalb des Flachlandes .zwischen + 12 cm und + 15 cm. Der Untersuchungsgegenstand liegt im Flachland!

Nach Auskunft eines Vermessungsingenieurbüros sind die Höhenangaben NN und NHN grob betrachtet gleich hoch. Anders ausgedrückt: die Differenz kann vernachlässigt werden.

Lassen sich die ehemaligen Seespiegelhöhen in den Zeiträumen vor den zur Verfügung stehenden Messdaten an der Seddiner Seenkette ermitteln? Ich sage ja! Die Wissenschaft unterscheidet zwei Ufertypen bei Binnenseen. Die „ausrollende Welle“ und die „Brandungskehle“.

ausrollende Welle                                    
Brandungskehle

Ufertypenverteilung am Großen Seddiner See

Die Ufertypenskizze zeigt die ungefähren Lagen der Ufertypen am Großen Seddiner See.

Bei der Ufertype „ausrollende Welle“ ist nicht mehr in jedem Fall die ehemalige Seekannte auf Anhieb erkennbar. Besonders an den Badestellen ist die Seekante nicht leicht nachzuvollziehen. Objektiv befinden sich in diesen Bereichen von der Seekante ab die ehemaligen Feuchtwiesen. In den Uferbereichen „Brandungskehle“ können die ehemaligen Seekanntenhöhen dagegen sehr gut rekonstruiert werden, weil diese sich in langen Zeiträumen ausgebildet haben und dadurch markant ausgeprägt sind.

Foto: Siegfried Paul
Brandungskehlen aus verschiedenen Zeiträumen

Die rote Linie ganz oben zeigt den Seespiegel um 1960. In der Mitte zwischen 1990 und 2000. Der sichtbare Seespiegel ist aus dem Jahr 2020. Ein weiteres Beispiel.

Fotos: Mario Spiesecke Kähnsdorf

Nach Angabe von Herrn Spiesecke zeigt das linke Foto den Seespiegel im Jahr 1990. Die rote Linie wurde vom Verfasser der Homepage dazu gezeichnet.  Es handelt sich bei der Seekante um eine Brandungskehle. Auch ist auf diesem Foto kein Schilf zu sehen. Das rechte Foto zeigt den Seespiegel in „weiter Ferne“ im Februar 2020. Für den Vergleich mit den linken Bild ist auf dem rechten Bild auch eine rote Linie eingezeichnet, die den ehemaligen Seespiegel aus dem Jahr 1990 markiert. In den zwanzig Jahren entstand als Ufer eine ausrollende Welle, was zum Schilfwuchs führte. Der Schilfgürtel ist inzwischen wie zu sehen aber trockengefallen. Die Seespiegelabsenkung beträgt nach Angabe von Herrn Spiesecke 1,70 m in den zwanzig Jahren. Auf dem rechten Foto auch gut zu sehen, wie das Grundstück etwas in den See „hineingewachsen“ ist. 

In der Seddiner Bucht an der B 2 mit den Brandungskehlen sind Bäume sehr nahe an der Wasserlinie gewachsen, die das Seewasser beschatten und teils ein beträchtliches Alter haben. Dies ist ein Hinweis auf eine geringe Pegelamplitude gesehen über Jahre, Jahrzehnte bis zu Jahrhunderten.

Beispiel für Brandungskehlen am großen Seddiner See

In meiner Analyse gültig und Standard bis um 1960. Erst mit der Abnahme des Wasservolumens des Großen Seddiner Sees ab 1960 trockneten diese Randstreifen immer mehr aus. Die Festigkeit der Randstreifen ließ nach mit dem Resultat, dass einige dieser alten Bäume in den See gefallen sind.  

Seddiner Bucht an der B 2 (Westbecken)
Seddiner Bucht an der B 2 (Westbecken)

2013 war der Große Seddiner See letztmalig gefüllt nach den schon dargelegten „Füllkriterium“. Im alten Dorfkern von Seddin in der Nähe der Kirche befindet sich eine Abflussrinne zum Seddiner See, um bei Bedarf Regenwasser in den See zu leiten.

Foto Siegfried Paul
Abflussrinne Richtung See

Am Seeufer befand sich 2013 eine Bank. Diese Bank stand in der Tat nicht mehr im Trockenen sondern war von Seewasser umspült. Ich schätze 10 cm. Bis zur alten Uferkante von 1960 fehlte aber noch einiges.

Bei einer Gefülltgrenze höher als 40 m ü. NN gehört die Seddiner Seenkette wissenschaftlich zu den Seen mit einem Abfluss. Im Mittelalter war es ein natürlicher Abfluss südlich des Kähnsdorfer Sees über die Moorgebiete. Später erfolgte der Abfluss über den anthropogen geschaffenen Mühlenfließ. Wann das Mühlenfließ angelegt wurde, um die Moorgebiete zu entwässern, konnte ich bis jetzt nicht ermitteln. Die Bezeichnung Mühlengraben erhielt dieser durch eine Wassermühle, die mit Wasser aus diesem Fließ betrieben wurde. 1960 war die Seenkette ein Fließsee(system). Jahrhundertelang lag der Seepegel bei 40 NN. In den jährlichen Überschwemmungszeiträumen bei 40 NN + X. Die jährlichen Seespiegelschwankungen lagen geschätzt nicht höher als bis zu 50 cm. Bei der Vorgabe „der See ist bordgefüllt bei 39,2 m ü. NN“ kann der Abfluss, der Mühlengraben, nicht tätig werden. Er ist trockengelegt. Die Seenkette gehört ohne Abfluss wissenschaftlich in die Kategorie der stehenden Gewässer. Welche Auswirkungen hatte dies:

. Mit der Wasservolumenabnahme von bis 2.000.000 m3 wurden die Selbstreinigungskräfte der Seenkette geschwächt,

.  Die Feuchtwiesen und das Wildenbrucher Fenn trockneten aus, was für die bis dahin vorherrschende Flora und Fauna tödlich war,

.  Bestimmte Fischarten verloren ihre Hauptleichgebiete,

.  Die drei Seddiner Seen haben keine oberirrdischen Verbindungen mehr. Diese oberirdischen Verbindungen waren zu jeder Jahreszeit für die Fischer mit ihren Kähnen mit Außenbordmotor schiffbar.

.  Mit der Einstellung der Pflege der Seenkette begannen die Uferstreifen und Feuchtwiesen zu verwildern.

.  Im nördlichen Bereich des Großen Seddiner Sees ist die ungehemmte Aus breitung der Erlen besonders gravierend. Nicht nur die ehemaligen Feuchtwiesen sind von den Erlen beschlagnahmt worden. Die Erlen sind auch in dem ehemaligen größten Schilfgürtel im Nordbereich des Großen Seddiner Sees weit in den See hineingewachsen und haben eine teilweise beträchtliche Größe erreicht.

Mit der in dieser Homepage vorgestellten Hauptrettungsmaßnahme würde die Seddiner Seenkette wieder zu einem Gewässersystem mit einem stetigen beträchtlichen Abfluss werden. In einer Richtlinie des Landes Brandenburg heißt es: „So verfügt Brandenburg über ein 30.000 Kilometer langes Fließgewässernetzt mit etwa 80% künstlichen oder erheblich veränderten Gewässerabschnitten, deren Wasserabfluss durch eine Vielzahl von Schöpfwerken und Stauanlagen beeinflusst wird“.4 Zu dieser Richtline passt der Mühlengraben.  Das antrophogen geschaffene Mühlenfließ hatte als hydrologisches Einzugsgebiet die Moorgebiete wie schon beschrieben, die trockengelegt werden sollten.  Nach der Trockenlegung der Moorgebiete sollte das von der Seddiner Seenkette abfließende Wasser gelenkt abfließen. Übrigens ist der im Naturpark Nuthe-Nieplitz gelegene zweite See – der Blankensee – ein Flusssee. Die Seegrenzen von um 1960 wieder herzustellen ist den Tatsachen geschuldet, dass die Seddiner Seen wieder die Kraft zur Selbstreinigung erhalten und die Fischer wieder die gesamten Seddiner Seen direkt anfahren können mit ihren Spezialkähnen. Zudem die ehemaligen Feuchtgebiete als Flora- und Faunalebensraum wiederhergestellt werden 

Seepegelentwicklungen Großer Seddiner See ab 2020

SEEPEGELENTWICKLUNG VOM 01. NOVEMBER 2021 BIS ZUM 31. OKTOBER 2022

Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts konnten die Fischer noch alle drei Seddiner Seen das ganze Jahr (natürlich Seezufrierungen ausgenommen) mit dem Arbeitskahn mit Außenbordmotor befahren. Die Seepegelhöhe lag jahreszeitlich bedingt bei etwa 39.60 bis 39.80 NHN. Bei diesen Seepegelhöhen hatten die Seddiner Seen auch die Kraft der Selbstreinigung.

An anderer Stelle dieser Homepage ist die These ausgesprochen, dass bei etwa 37,00 NHN der Große Seddiner See in zwei Einzelteile zerfallen wird. Wie ist die objektive Datenlage im untersuchten Zeitraum und wie sind die Daten einzuordnen?    

1. November 2021    37,68 NHN gemessen

1. April         2022    37,86 NHN gemessen

31. Oktober   2022    37,47 NHN gemessen

Über die kalte Jahreszeit bis zum 1. April 2022 hat sich der Seepegel um 18 cm erhöht. Dieses „Guthaben“ war Mitte Juni 2022 aufgebraucht. Der Seepegel sang stetig und erreichte seinen jemals gemessenen tiefsten Stand um den 10. September 2022 mit 37.43 NHN. Bis zum 31. Oktober erhöhte er sich leicht um 4 cm auf 37,47 NHN. Diese leichte Erhöhung ist auf etwas zeitlich gestreckte Regenfälle zurückzuführen. Ergebnis dieser Regenfälle war die gute „Pilzsaison“ 2022. Die Seepegelentwicklung ist objektiv weiter fallend und nähert sich der 37,00 NHN- Marke.

1 Dies findet sich in Dokumenten des Landesamtes für Umwelt, der Unteren Wasserbehörde und in den für die Gemeinde Seddiner See von dem Institut für angewandte Gewässerökologie GmbH Seddiner See/Bad Kötzting erstellten Monitorings.
2 Nach Darstellung des Fördervereins Seddiner See fielen die Klostergüter durch die Reformation an den Kurfürsten.
3 Aus dem Monitoring Großer Seddiner See Untersuchungsjahr 2019. Erstellt vom Institut für angewandte Gewässerökologie GmbH, Am Ludwigsberg 5, 93444 Bad Kötzting für die Gemeinde Seddiner See. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Bürgermeisters der Gemeinde Seddiner See.
4 Richtlinie für die Unterhaltung von Fließgewässern im Land Brandenburg.

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